Der Pflastertreter.

Humoreske von Th. Müller
in: „Köln-Bergheimer Zeitung” vom 13., 15., 20., 22.2.1896


Er war für seine sechsundzranzig Jahre schon zu träge und daher etwas zu dick geworden. Sein Arzt hatte ihn deshalb vor die Alternative gestellt, entweder Velozipedfahren oder Reiten zu lernen. Da ihn seine Eltern in den glücklichsten Vermögensverhältnissen zurückgelassen hatten, so hatte er sich seufzend für das letztere entschlossen.

Schweigen wir über den traurigen Winter, in dem er sich in der dumpfen Manege mit den Anfangsgründen des erwählten Sportes abgequält hatte, und lassen wir den Vorhang herab — wie er, Herr Edgar Lossen nämlich, das an seinem Reitkleidergestell persönlich auch gethau hatte — über die diversen Sackos, Gilets und Beinkleider, welche ihr elegantes Aeußere opfern mußten, weil ihr Herr die eigentümlichste Luft- und Parterre-Akrobatic in ihnen ausgeführt batte. Die Leiden des ersten Abschnittes der edeln Reitkunst lagen ja nun hinter ihm und der Frühling war angebrochen, der Frühling, dessen freundlich warme Sonnenstrahlen alle Welt ins Freie hinauslockten.

Es ist etwas seltsames um so einen schönen Frühlingstag. Er macht das Blut rebellisch und läßt Wünsche in der Menschenbrust reifen, welche unter dem Einflusse der permanenten Abkühlung des Winters nie dort rege geworden wären. Auch Herrn Edgar Lossen ging es so. Er fühlte, trotz der bereits erzielten starken Gewichtsabnahme eine Kühnheit und einen Kräfteüberschuß in sich, welche ihn gebieterisch dazu drängten, eine ganz außerordentliche That zu vollbringen - und diese That sollte der erste Ritt ins Freie sein.

Wir sehen ihn deshalb mit raschen Schritten in sehr elegantem Reit=Dreß in den Hof des Stallmeisters treten, bei welchem die Reitübungen bis jetzt stattfanden und hören ihn mit herrischer Stimme nach diesem begehren.„Ich will einmal ins Freie heute und allein, Herr Stallmeister“, rief er diesen an, sobald er seiner ansichtig wurde,„lassen Sie mir den Mucki satteln!"

Der Stallmeister hatte Bedenken, sprach von besserer Festigung des Sitzes, riet zu einem anderen Pferde oder doch wenigstens dazu, seine Begleitung anzunehmen; es war aber alles vergeblich. Herr Edgar Lossen hatte sich seinen nagelnenen Zylinder verwegen auf das rechte Ohr gerückt, eine himmellange Virginia keck in den Mund gesteckt und stolzierte, seine Lackstiefeln mit der Reitgerte pätschelnd, im Hofe hin und her. bis man Mucki, einen etwas hirschhalsigen, feinbeinigen Galizier von hübscher Form aus dem Stalle brachte. Zwar, er konnte es nicht läugnen, daß ihm das Herz doch etwas bänger als sonst schlug, wenn er hierher zu seinen Reitübungen kam; aber wie gesagt, diese Frühlingssonne...

Er holte noch einmal tief Athem, saß auf und es ging dahin. Es schien ihm, als ob der Stallmeister noch etwas inbezug auf den Weg nachrief, aber er war schon zu sehr im Banne seines Pferdes, um noch recht hinhören zu können — er lenkte in die Hauptstraße ein und, wie er vorausgesehen, erregte er dort bei vielen Passanten, besonders aber Passantinnen einen hohen Grad von Bewunderung. Daß bei letzteren sehr viel der Umstand dazu beitrug, daß die respektiven Mütter Edgar ihren Töchtern stets als brillante Partie hinstellten, wird sich der geneigte Leser denken können, während der verwöhnte Edgar, welcher sich seines kühnen Entschlusses immer mehr erfreuend, solche Huldigungen als seiner Person geltend für selbstverständlich hinnahm.

Mucki aber ging sanft und ruhig seines Weges dahin und nahm es sogar nicht einmal übel, als ihm sein Reiter in seinem Grußeifer öfters den Zylinder an den Kopf schlug.— Nun aber war die Stadt zu Ende, sie waren auf der Chaussee und Edgar, kühn gemacht durch den bisherigen Erfolg, gebrauchte die Sporen zum Trabe.

Muckl schien nur hierauf gewartet zu haben; ein lustiges Schnauben entströmte seinen Rüstern, er schüttelte kokett den Kopf, dann griffen die feinen Beine aus und in flottem Tempo ging es weiter.

Himmel, das war etwas anderes als auf der Reitbahn! Wenn nur die vielen Wägen nicht gewesen wären, denen man immer answeichen mußte! Auch Mucki mochte das denken, denn als sich ein rechts abführender, schön gehaltener Vizinalweg zeigte, bog er, ohne seinen Reiter zu fragen, in diesen ein und trabte gemütlich weiter. Edgar hatte bei der scharfen Wendung gerade noch die Mähne erfaßt und war erstaunt, sich plötzlich von der Landstraße abbiegen zu sehen, da er glaubte, eigentlich noch länger gerade aus gewollt zu haben — aber es war ja hier so schön, so idyllisch; die Felder, von denen die Sonne den Morgentau küßte, dampften, die Saat streckte die grünen Köpfchen aus den schwarzen Schollen, Lerchen trillerten und das Gebüsch dort war schon über und über grün.

Bis dorthin sollte noch getrabt werden, dann aber sollte es genug für diesmal sein. Eine so lange Trabreprise hatte er noch nicht auf einmal absolviert; ihm liefen die dicken Schweißperlen über das Gesicht, der Cylinder war ihm bedenklich ins Genick gerutscht und einen Bügel hatte er auch s chon verloren — also Zügel angezogen und etwas ausgeruht!— Mucki schien gegenteiliger Ansicht zu sein, er trabte lustig fort. Herr Edgar Lossen konnte an den Zügeln ziehen, so viel und so lange er wollte, Muckt reagierte nicht. Der Waldsaum war erreicht und der Reiter erstaunt, hier einen Weg von dem Sträßchen abzweigen zu sehen, der durch ein steinernes Thor führte. Mucki wieherte, als ob es eine Begrüßung gelte, schwenkte ein und passierte das Thor, noch ehe sein Reiter im geringsten darüber mit sicg einig war, ob er das zugeben solle oder nicht.

Mucki wurde immer aufgeregter und sein Reiter immer unruhiger auf seinem Sitze. Auch der zweite Bügel ging verloren und immer häufizer schlugen die Absätze mit den spitzen Sporren gegen die Weichen Muckis empor. Edgar sah das Kritische der Situation recht wohl und als Mucki nun gar in Galopp fiel, raffte er, was an Mähne zu erhaschen war, zusammen und klammette sich mit aller Kraft daran fest, Es war höchste Zeit, denn im nächsten Moment schoß Muckt in voller Karriere dahin — ein Glück, daß der Wog geradeaus ging, vielleicht kam auch bald eine hohe Mauer oder sonst etwas, wovor Mucki stehen bleiben mußte — ach wenn nur recht bald, dachte sich Edgar. Es war natürlich ein reizendes Bild, das sich bot; auf dem Kopfe hielt sich der Zylinder nur deshalb noch, weil er von Haus aus zu weit war und auf der schwitzenden, glitscherigen Stirne bis auf die Nasenwurzel hinabgeruscht war. Der Oberkörper war weit nach vorwärts gebogen, dagegen seine Sitzgelegenheit hoch in die Lüfte gestreckt; köstlich war der Ausdruck seines vor Hitze bläulichen Gesichtes — man sollte es nicht glauben, er lächelte! Allerdings war es schon mehr das Lächeln der höchsten Blödigkeit. Und Muck gug durch....

Da glaubte Edgar, trotz seiner auf die Mähne konzentrierten Aufmerksamkeit von seit- und vorwärts her eine menschliche Stimme rufen zu hören... er empfand plötzlich einen furchtbaren Ruck, es war ihm, als ob er den Weltraum durchflöge und schließlich mit einem lauten Klatsch in eine weiche Masse hineinplumpse, in welcher es ihn einigemale rund um drehte .... dann sah und hörte er nichts mehr.

Trotz der Betäubung aber schlummerte Edgars Phantasie nicht. Er dünkte sich mit gebrochenem Genick bereits im Jenseits — ob im Himmel oder Hölle, das mußte sich allerdings erst herausstellen. Vor allem that ihm, im Gegensatze zu der bisherigen stürmischen, ihn auf das Aeußerste anstrengenden Bewegung die Ruhe unendlich wohl. Was ihm weiter sehr angenehm war, das war ein kühler, feiner Rieselregen, der nach einiger Zeit auf ihn herabzustäuben begann und dazu roch's so wunderschön.... die Hölle war das entschieden nicht, in die er geflogen war, denn da mußte es allen Beschreibungen nach anders riechen. Er war also im Himmel. Da beschäftigte man sich auf einmal mit seiner Nase... Durch den ganzen Körper war es ihm gefahren! Das war ja Salmiakgeist, da war er also doch vielleicht in der Hölle! Das mußte untersucht werden! Edgar bemühte sich ein Auge aufzukriegen — es ging. Keine Rede! In Himmel war er! Ein Engel hatte sich über ihn gebeugt und betrachtete ihn aufmerksam. Uebrigens ein reizender Käfer! Na, dachte sich Edgar, gut aufgehoben bist du ja, daß du das Genick gebrochen hast, läßt sich auch nicht mehr ändern, halten wir also vor allem auf all die Strapazen hin eine kleine Siesta, das übrige wird sich dann schon finden — wenn mich nur, da im Genicke, der harte Gegenstand nicht so schrecklich genieren würde.... nun man muß nicht zu viel verlangen...

Mit einem tiefen Erleichterungsseufzer schlug er die Hände über dem Leibe zusammen, grub sich durch einiges hin=- und herdrehen des Körpers noch etwas tiefer in die schon erwähnte weiche Masse, neigte seinen Kopf zur Seite und machte somit alle Anstalten zu einem ganz gediegenen Schläfchen.

„Da hört sich denn aber doch Verschiedenes auf,” ertönte es laut und wie verblüfft neben Edgar, „mir scheint, der lange Labader will schlafen, den werd ich aber gleich wach haben, ich schütt' ihm einfach Wasser ins Gesicht, denn wissen muß ich, wer der Held von der traurigen Gestalt eigentlich ist!”

Für einen Engel hieß sich das ziemlich resolut ausgedrückt. Herrn Edgar Lossen rissen diese Worte denn auch energisch aus seinem Halbdusel, er setzte sich und da er hiebei eine ziemliche Steifigkeit im Genick spürte, so sah er erst mal hinter sich, um zu ergründen, was ihn denn so sehr im Liegen belästigt hatte.

„Das Donnerwetter”, fuhr es ihm unwillkürlich über die Lippen, „das ist ja mein Zylinder! Heiliger Pfeffernuzius wie schaut der aus!” Aber dieser ersten Entdeckung, welche Herrn Edgar eiligst auf die Beine trieb, folgten bald mehrere andere, welche ihn schier zum Verzweifeln brachten. Als er sich nämlich erhoben und bei dieser Gelegenheit entdeckt hatte, daß er in einen Mooshaufen gefallen war, sah er fast gleichzeitig, daß sein linker Aermel nur mehr an der Naht, sein rechter Rockflügell nur mehr an einigen Webefäden hing. Was aber in dieser Situation das Schauderhafteste war, war das, daß er sich einer hübschen jungen Dame gegenüber befand, welche ihn mit außerordentlich spöttischer Miene betrachtete.

Er verbeugte sich etwas ungelenk:„Mein gnädiges Fräulein, ich bitte sehr um Entschuldigung... der verdammte Racker...”

„Freilich, jetzt soll der arme Mucki schuld daran sein! Sie sind der schuldige Teil, wer wird denn auch in dem Alter so unter aller Kritik reiten?”

Edgar glaubte nicht recht zu hören, er ließ nur ein höchst erstanntes „Aeh!?” vernehmen.

„Jawohl,” fuhr sein schönes Vis--vis fort, „hätten Sie sich nur gesehen, wie Sie den Tannensteig heraufkamen..”

Er ward rot. Das mußte allerdings ein schauderhafter Anblick gewesen sein! Sie ließ ihn einige Momente in seiner Verlegenheit kam ihm aber dann zu Hilfe.

Sie können noch von Glück sagen, daß Muckl auf meinen Ruf hörte, so flogen Sie doch wenigstens in den Mooshaufen hier, wäre er aber gerast, so hätte er sie jedenfalls in die große Fontaine vor dem Herrenhause geworfen. Mucki wurde bei uns aufgezozen; er eignete sich aber nicht für den Zug; zum Reiten aber war er Papa zu schwach und ich durfte ihn nicht besteigen, weil ich rücksichtslos über Hecken und Gräben, flitze und das hätten seine Beine nicht vertragen. So kam Mucki zum Verkaufe nach der Stadt und da erstand ihn der Stallmeister, der freilich versprach nur gute und rücksichtsvolle Reiter daraufzusetzen.

Herrn Edgar war die entsetzlich aufrichtige Sprachweise des Fräuleins anfangs, wie wir gesehen haben, furchtbar in die Nase gefahren, allmählich drang aber sein guter Humor durch und er sagte mit einem Blick auf seinen übel mitgenommenen Rock: „In der That, ich darf froh sein, daß mich Mucki nicht in das Bassin warf, denn so verrissen und naß auch noch, wäre allerdings der Gipfel der Unannehmlichkeiten... auf eines bin ich wirklich begierig... wie komme ich in dem Zustande heim....”

„Na, das werden wir gleich haben”, entgegnete ihm das Fräulein, „ich habe über Sie gelacht, das will ich jetzt wieder wett machen.... geben Sie mal den Rock her!”

Edgar zögerte. Das Fräulein girg einige Schritte zwischen den Bäumen hin um eine Naturbank zu erreichen, die dort an einer mächtigen Eiche angebracht war. Es schten, daß sie hier gesessen hatte, wenigstens lag hier ein Buch und eine weibliche Handarbeit. „So bitte, kommen Sie doch!” animierte sie den noch immer Ueberlegenden.„Auf Ihrem Rücken wird der Rock nicht ganz, also herunter damit!” Edgar gehorchte, doch ehe das Fräulein den Patienten in Empfang nahm, sagte sie, den ersteren prüfend messend: „Halt, zuerst möchte ich denn doch wissen, wer und was Sie sind!”

Edgar begann eine Entschmdigung zu stammeln, daß er sich nicht sofort vorgestellt habe, wurde aber durch ein kurzes „Nun?” unterbrochen. Da nahm der Herr die Hacken zusammen verbeugte sich und sagte: „Edgar Lossen, zu dienen, gnädiges Fräulein.”

Das gnädige Fräulein schien noch auf einen Nachsatz zu warten. Edgar bemerkte dies. „Ach so, gnädiges Fräulein sind auch begierig, zu hören, was ich bin?” Sie nickte. „Ja, sehen Sie, das ist so 'ne Sache. Ich bin eigentlich nur der Herc Lossen, sonst gar nichts — das heißt, wenn sie alles wissen wollen, so habe ich mich auf der militärtschen Reserveleiter bis zu der schwindelnd hohen Sprosse eines Vizefeldwebels emporgeschwungen.”

Das Fräulein schüttelte ein wenig den Kopf und warf die hübschen Lippen auf.

„Imponiert Ihnen meine Lebensstellung nicht, weil ich Zeichen des Mißfallens bei Ihnen wahrnehme?”

„Nun erlauben Sie mir, es muß einen doch Wunder nehmen so einen großen, starken Menschen vor sich zu sehen und dann zu erfohren, daß er auf der Gotteswelt nichts weiter ist als ein Pflastertreter.”

Herrn Edgar gab es einen förmlichen Riß. Nein, war dieses Frauenzimmer von einer Grobheit! Pflastertreter, Mensch, hatte sie ihn geheißen!

Aber, eigentümlich, so sehr er geneigt war, ihr zu zürnen, er konnte es nicht im Ernste. Sie kam ihm in ihrer verblüffenden Aufrichtigkeit so frisch vor, ihre Herbheit zog ihn so mächtig an, diese Sprechweise war ihm so neu! Die andern Damen, welche er bis jetzt kennen gelernt hatte, waren nur immer bemüht gewesen, ihm an jeden Preis zu gefallen, und das hatte natürlich nicht dazu beigetragen, seinen Respekt und seine Hochachtung vor dem weiblichen Geschlecht besonders hoch zu spannen. Er hatte bis jetzt geglaubt, daß, wenn es ihn ja einmal nach den süßen Banden der Ehe gelüsten sollte, er nur allergnädigst Ja zu sagen brauche und die Sache wäre abgemacht. Es fuhr ihm plötzlich durch den Kopf, wie reizend es sein müsse, auf diesem Gesichtchen den Wiederschein echter, wahrer Liebe studieren zu können und diese Perspektive lockte ein eigentümlich träumerisches Lächeln auf seine Züge, indem er das verunglückte Schneiderzeugnis von seinen Schultern nahm und es seiner Widersacherin übergab.

Diese deutete sein Lächeln allerdings anders: „Seh'n Sie,” fügte sie, ihm einen huldvolleren Blick als bisher zuwerfend, „das gefällt mir nun von Ihnen, daß Sie eine bittere Wahrheit lächelnd anhören kömen und wenn man das kann, ist man auch im stande, begangene Fehler wieder gut zu machen.... Sie haben ja auch schon angefangen sich in etwas zu bessern, Sie versuchten ja Reiten zu lernen...”

Die kleine Bosheit! Versuchten sagte sie! Edgar setzte sich auf einen Stein zu ihren Füßen und sah zu, wie ihre flinken, schönen weißen Hände, welche ein Nähzeug aus dem Ridikül, dem vorhin jedenfalls auch das unangenehme Salmiakgeistglas entstiegen war, nahmen und sofort kunstgerecht den Aermel einzusetzen begann.

„Nun ja,” meinte er gemütlich entgeguend. „Sie sehen ja...”

„Natürlich lernten Sie reiten,” fiel sie ihm voll Eifer in das Wort,„um sich allmählich zum Sportsmann auszubilden, eine nette, kavaliermäßige Passion! Sie hatten dabei im Sinne auf dieser Basis dann später ein großes Gestüte zu gründen und dabei die gewonnenen hippologischen Kenntnisse zu verwerten... o die Pferde, ich liebe sie leidenschaftlich!

Herrn Edgar bereitete es eine heimliche Freude, ihr einen Strich durch die gezogene Rechnung machen zu kömen — er wußte eigentlich selbst nicht, warum er die ihm gebotene Brücke, nicht beschritt, er glaubte aber später, als er sich das ganze Gespräch wieder in sein Gedächtnis zurückrief, daß es nur die Lust gewesen sei, sie wieder zornig zu sehen, da sie ihn im Zorn gar so reizend erschien; er sagte also ganz in vorigen Tone: „Doch nicht, mein gnädiges Fräulein, es war ein anderer Zweck, den ich verfolgte, ich wurde nämlich zu dick und wollte magerer werden.”

Sie wandte ihm rasch das Gesicht zu, in das das Blut gestiegen war. Einen Augeiblick sah sie ihn entsetzt an und dann kam es hinter den spitzen, weißen Zähnen leise, aber deutlich hervor: „O, abscheulich..” Der also Apostrophierte saß einen Moment wie von einer kalten Douche getroffen, das war doch stärker gekommen, als er gedacht hatte, dann folgte er dem Beispiel seiner Gegnerin, die sich rasch erhoben hatte und stand ebenfalls auf. Der Aermel war eingesetzt, aber der Rockflügel hing noch trostlos von dem eleganten Jaquet; das Fräulein schien aber nicht die geringste Lust zu haben auch diesem Mangel abzuhelfen. Sie reichte ihm, ihn von jetzt ab, als Luft behandelnd, das verdorbene Kleidungsstück, er empfing es mit einer Verbeugung und schlüpfte hinein, indem er halblautlos einige Worte des Dankes murmelte. Er mußte nun natürlich von der Bildfläche verschwinden. Mechanisch hob er seinen Cylinder vom Boden auf und fuhr mit dem Arme hinetn, un die „Quetsch”-Falten aus demselben zu entfernen. Leise spitzte sich sein Mund dabei, es kam zwar kein Toa über seine Lippen, aber um so lauter zog die bekannte Melodie des hübschen Liedes: „O mein Lieber, Du schaust aus...” durch sein Jnneres. Es war ein trostloses Beginnen dieser unförmlichen Masse, eine einigermaßen acceptable Form zu geben und er bot in seinen Bemühungen ein so urdrolliges Bild, daß sich die eben noch so strengen Züge des Fräuleins zu glätten begannen und sogar ein blitzartiges Lächeln ihr Gesicht überstrahlte. Edgar sah es nicht, er hatte noch immer die Augen auf seinen Zylinder gerichtet, hob sie aber freudig erstaunt, als das Fräulein sagte:

„Ich sehe ein, mein Herr, daß Sie mit diesem Hute unmöglich zur Stadt zurück können... kommen Sie mit zum Herrenhause, ich will Ihnen einen von Papa's Hüten geben...”

Edgar verbeugte sich stumm aber sehr tief. Er schritt auf den ruhig grasenden Mucki zu, nahm ihn am Zügel und folgte dem Fräulein auf dem Waldwege, den diese eingeschlagen hatte.

Es dauerte nicht zehn Minuten, so waren sie beide auf dem Hofe des stattlichen Gutes und Edgar wußte nun auch, wo er war. Es war der sogenannte Waldhof, einem Herrn Faltern gehörig, wie er aus den Gesprächen in der Stadt wußte, und seiner vortrefflichen Bewirtschaftung wegen weit berühmt in landwirtschaftlichen Kreisen. Auch von der reizenden Dame an seiner Sette wußte er nun — eben aus denselben Gesprächen — das Herumgesprochene. „Prinzessin Ilse” hatte durch ihre Originalität schon viel von sich reden gemacht und schon manchen, der auf die Freite in den Waldhot kam, soll sie bös heimgeschickt haben — na, daß sie das Zeug dazu hatte, unterschrieb Edgar sofort.

Fräulein Ilse hatte einen Stallburschen gerufen und nach „Papa” gefragt. Er sei nicht zu Hause, hatte es geheißen. Dann kam die bestellte Kopfbedeckung. Edgar bedankte sich „für alles” und, obgleich er zehntausendmal lieber zu Fuße zur Stadt zurückgepilgert wäre, ordnete er doch die Zügel Muckis, um vom Hofe zu reiten. Prinzessin Ilse sah ihm dabei zu und auf ihren beweglichen Zügen konnte man jeden Lapsus, den sich Edgar in equestrischer Beziehung zu Schulden kommen ließ, sich deutlich markieren sehen. Endlich saß er, aber Mucki schien nicht gewillt, so rasch von einem Orte Abschied nehmen zu wollen, an dem er seine goldenste Jugend verbracht hatte, der Waldhofer Hafer war der beste in der ganzen Umgegend. Statt also ruhig und gesetzt den Weg nach der Stadt anzutreten, wozu ihn die Hülfen Herrn Edgars freundlich aufforderten, machte er auf den Hinterbeinen Kehrt und Miene, in den Stall an----ten (ein Wort unleserlich).

Fräulein Ilse biß die Zähne aufeinander, als sie die ungeschickten Manöver Edgars sah, um die Renitenz Muckis zu besiegen. Der exzellenten Reiterin war es ein Greuel, solche Stümperei anzusehen. Wie als ob sie in der Manege einem Schüler Unterricht gäbe, kommandierte sie: „Setzen Sie sich tiefer in den Sattel! Nehmen Sie den Oberköaper etwas zurück und, sobald er wieder rechts umkehren will, den rechten Zügel bis an ihr Knie herunter, so, brav! Jetzt den rechten Sporn eingesetzt und das garze Pferd einigemale herumgewickelt... seh'n Sie wohl!” Sie war ganz Feuer und Flamme und holte sich mit ein paar raschen Schritten eine lange Fahrpeitsche, welche an dem Spritzleder eines Kutschierwagens steckte. „So,” rief sie ganz glühend, „wenn jetzt Muckis Kopf in der Direktion der Auffahrtsallee steht, dann beide Sporen eingesetzt und pleine carrière weiter!” Edgar bemühte sich, der Instruktion seiner Lehrmeisterin nachzukommen, aber, sei es, daß ihn momentan die Kraft verließ, oder, daß Mucki noch einmal all die seine zusammennahm, um seinen Willen durchzusetzen, kurz, das Manöver wäre mißglückt — weon in diesem Augenblicke nicht die Peitsche des Fräuleins mit einer für die feine Figur außerordentlichen Energie die Croupe Muckis bearbettet hätte, daß hierbei auch einiges für Herrn Edgar abfiel, that dem Effekte nicht den geringsten Schaden, denn Mucki flog wie aus dem Rohr geschossen durch das Thor des Herrensitzes und die lange Allee hinunter, wobei Herr Edgar, wie beim hitzigsten Rennen, wieder seinen Oberkörper unnatürlich weit vorbog und das Gesäße himmelan streckte. Fräulein Ilse aber stand hochatmend unter dem Thore und murmelte: „Das wird er sich merken der Racker, das wird er sich merken!,” wobei es unentschieden blieb, wer mit dem „Racker” eigentlich gemeint war.

In der ewig gleichen Reihenfolge war dem Frühling der Sommer, dem Sommer der Herbst und dem Herbste der Winter gefolgt.

Edgar Lossen lag in seinem wohldurchwärmten Salon nachlässig auf einer Chaiselongne ausgestreckt. Er konnte sich mit gutem Gewissen der Ruhe hingeben, ohne befürchten zu müssen, seinen Fettansatz dadurch zu befördern — denn er hatte heute wieder tüchtig gearbeitet. Ja gearbeitet! Und unn las er in einem elegant gebundenen Buche. Es war „Mirza Schaffy” von Bodenstedt:

„Das größte Glück der Erde Liegt auf dem Rücken der Pferde.”

„Das ist wahr!” sagte er träumend. „Ich hatte im L ben nicht gedacht, daß mir das Reiten noch so viel Spaß machen würde! Gesund bin ich auch, und wie! War das aber eine Blamage auf dem Waldhofe da draußen. Ihr Gutes hat sie doch gehabt. „Mensch, Pflastertreter,” hat sie mich genannt! Bei einer andern hätte ich die Achseln gezuckt — aber die! Es kam ein förmliches Fieber über mich, ihr zu zeigen, daß ich etwas zu leisten im stande sei! Was zu lernen hatte ich ja angefangen, also weitermachen darin. Ich kam sozusagen Tag und Nacht nicht mehr aus dem Sattel, war nur mehr in Gesellschaft der Kavallerieoffiziere unserer Garnison, bis der Oberst v. Klinge selbst auf mich aufmerksam wurde und mir den Rat gah, mich zur Reserve der Kavallerte versetzen zu lassen, was bei seinen gewichtigen Connaissancen auch glücklich durchging. Dann machte ich im Herbste als Vizewachtmeister in seinem Regimente freiwillig die Uebungen mit und jetzt bia ich Lieutenant der Reserve! Genug, der Erfolg für dreiviirtel Jahre — möchte wissen, was „sie” für ein Gesicht machte, als sie meine Beförderung in der Zeitung las? Aber damit begnügen wir uns noch nicht, ich habe einen famosen Plan. Das verlotterte Gut, der Schwaighof, dessen Grenzen direkt an den Waldhof stoßen, muß mein werden, ich lasse es dem Alten, ihrem Vater, der schon lange ein Auge darauf gehabt hat und es jetzt in den Sack stecken zu können meint, weil es subhastiert wird, vor der Nase weg steigern, mein Advokat hat schon den Auftrag. So thue ich, das soll meine Ruche sein! Und dann werd' ich dort draußen Stoppelhopser und was für einer, da soll sie mal sehn! Werd' ihr schon noch Respekt vor mir beibringen!”

Edgar hatte sich erhoben und war bei den letzten Sätzen im Zimmer auf- und ab geschritten, dann blieb er lächelnd vor einem Schränkchen stehen, nahm ein Buch heraus und liebkoste dessen Titel „Die Dreifelder-Wirtschaft; mit den Augen. „Theoretisch sitzt alles fest,” sagte er vergnügt, „warte nur, wie ich Dich erst durch die Praxis überrasche!”

Mittlerweile war es dunkel in Zimmer geworden und der Diener brachte Licht.

„Es ist Donnersteg, Herr Lossen!” sagte er, indem er die große Lampe niedersetzte, „der erste Tag für die Proben zu dem Reiterfeste!” „Wirklich!” machte Herr Lossen, „das hätte ich beinahe vergessen. Fünf Uhr. Da ist es gerade Zeit, daß ich zur Reitbahn der Ulanen aufbreche, um nicht zu spät zu kommen.” Rasch wurde mit Hilfe des Dieners Toilette gemacht und dann ritt er — er hatte nun selbst zwei prächtige Pferde im Stall — auf seiner Bessy, einem englischen Halbblut, zur Ulanenkaserne.

Man wollte zu wohlthätigem Zwecke ein Karoussel veranstalten und hatte von Seiten des Offizierskorps, da der eigene Stand an Zahl zu dem groß geplanten Feste nicht ausreichte, an Damen und Herren aus der Gesellschaft zur Mitwirkung eingeladen, was gut im Sattel saß; auf ganz speziellen Wunsch des Obersten auch den neugebackinen Reservelientenant des Regiments, Edgar Lossen.

In dem hell erleuchteten Reithause, das für die Proben und die schließliche Aufführung reserviert war, war bei Ankunft Lossens schot eine größere Anzahl von Herren und Damen des Offizier- und Zivllstandes versammelt, welche teils an den Wänden der Reitbahn umherkourbettierten, teils in Gruppen zu Fuß in der Mitte des Raumes beisammen standen und sich unterhielten. Edgar gesellte sich den letzteren zu und ließ sein Pferd von einem bereitstehenden Ulanen halten. Er machte dem Oberst, der ebenfalls, mit einer langen Liste bewaffnet, hier Posto gefaßt hatte, sein Kompliment, und begrüßte dann die übrigen Anwesenden, welche den beliebten jungen Mann alsobald ins Gespräch zogen.

Es sollte ihm eine große Ueberraschung zu teil werden. Man hörte einen Wagen vorfahren und in den nächsten Augeablicken trat durch das Thor der Reitbahn — der alte Faltern vom Waldhofe, an seinem Arme seine Tochter, die „Prinzessin Ilse”. Lossen starrte sie an und murmelte in sich hinein: „'S ist zum Verzweifeln mit dem Frauenzimmer, sie ist noch hübscher geworden!” Er hatte sie seit dem denkwürdigen Ritte nicht mehr gesehm, er hatte nur gehört, daß Vater und Tochter seit einer Ewigkeit verreist seien. Er glaubte sie auch jetzt noch nicht daheim und da trat sie unn plötzlich hier ein. Er wußte nicht recht, was beginnen und trat deshalb zurück, um hinter den andern, welche das schöne Mädchen lebhaft begrüßten, Deckung zu suchen. Der Oberst hatte ihn beobachtet und biß sich, um nicht lächeln zu müssen, in seinen dichten Schnurrbart. Edgar hatte ihm nämlich einmal frei und offen und in sehr humoristischer Weise den „Ritt nach dem Waldhofe” erzählt, worüber sich der alte Herr königlich amüsiert hatte und sein Gesicht sah jetzt ganz so aus, als ob er noch etwas in petto hätte, wovon er sich einen abermaligen Spaß versprach. Er erhob die Hand, in der er die schon erwähnte Liste hielt, bat mit lauter Stimme um Aufmerksamkeit und verlas dann die Zusammenstellung der einzelven Quadrillen und Waffenspiele. Endlich kam er zum „Jeu de rose”:„Fräulein Faltern, die Herren Lieutenants v. Minsky, v. Brodden und Herr Reservelieutenant Lossen.” Die Herren von Minsky und von Brodden traten vor und versicherten, daß es ihnen „kolossal angenehm” sei, mit einer solchen Partnerin in die Schranken zu treten und Lossen blieb nun auch nichts anderes übrig, als sich zu zeigen und seine Verbeugung zu machen. Er wurde aber über und über rot, als ihn das Fräulein ganz entsetzt ansah. Ihr, die ihn sofort wieder erkannt hatte, schoß es natürlich durch den Kepf, daß der „ungeschickte Mensch” bei einer Reitprobe, wie es das Jeu de rose ist, von Nachteil sein mußte; wenn er sich im Reiten allein blamieren wollte, so hatte sie natürlich nichts dagegen, aber sie mit, dafür dankte sie denn doch recht schön.

Was den Papa Faltern anbelangte, dem sie damals, als sein Hut mit einem höflichen Briefe von Lossen retour kam, die ganze Affaire erzählt hatte, so dachte dieser ganz wie sie und eilte sofort auf den Oberst zu, um schon jetzt die erwünschte Aenderung zu erzielen. Dieser aber sagte nur! „Warten Sie es ruhig ab, wenn seine Reitleistung wirklich nicht entspricht, können wir hier ja noch immer eine Verschiebung vornehmen.” Dabei blieb es für heute. Edgar aber ballte die Hände und schwor sich, alles aufzubieten, um sich ihr gegenüber im günstigsten Lichte zu zeigen.

Für den ersten Abend war die Arbeit gethan; auch über die Kostüme war man einig, das Jeu de rose speziell sollte in Rokokotracht geritten werden. Zum Schlusse ließ der Oberst von der bereitstehenden Musik einige Piecen spielen und dazu wurden die Pferde abgeritten, es herrschte eine außerordentlich animierte Stimmung. Dann wollte man sich trennen und die Thorwache eilte, die Barriere auszuklappen. Der Reservelieutenant Lossen, welcher gerade an der oberen Schmalseite der Bahn in der Nähe des Oberst war, bat aber diesen leise, noch einen Moment zu verziehen, worauf der Thorwache Gegenordre wurde. Lossen salutierte, sich empfehlend, vor dem Obersten und vor den übrigen Herrschaften, nahm seine Bessy zusemmen, flog vom Platze weg pleine carrière gegen die untere Reitschul-Barriere und setzte über dieselbe in prachtvollem Hirschsprunge weg. Es war das Werk weniger Sekunden und hätte ihm das Genick kosten können, aber es war gelungen und ein lautes vielstimmiges „Bravo” tönte ihm nach. —

„Der Renommist!” sagte Papa Faltern später im Wagen zu seiner Tochter, als sie wieder auf das Gut hinausfuhren. „Prinzessin Ilse” that, als ob sie's nicht gehört hätte, aber sie fühlte noch immer den Stich, den es ihr ins Herz gegeben hatte, als sie den verwegenen „Meuschen” über dem Thore schweben sah... Edgar aber ärgerte sich, daß er sich zu einer solchen Fanfaronade hatte hinreißen lassen, er war unzufrieden mit sich, diese Komödie und Prahlerei insceniert zu haben.— — —

Die Proben zum Karoussel und Weffenspielen nahmen ihren regelmäßigen Fortgang. Was das Jeu de rose betraf, so konnte von eigentlichen Proben hier keine Rede sein. Ein Schema ist auf diese reia equestrische Leinung nicht anwendbar, ein Einstudieren unmöglich. Hier gilt nur die Gewandtheit des einzelnen und die seines Pferdes. Man war wohl ein paarmal in die Schranken getreten und hatte sich gegenseitig seine Finessen abgeguckt, die Zuschauer blieben aber im Unklaren darüber, wer bei der Aufführung seiner Zeit der „Privzessin Ilse” die Achselschleife entreißen würde; denn das Reizvolle bei diesem ritterlichen Spiele liegt gerade darin, daß sich die Kavaliere gegenseitig alle möglichen Schwierigkeiten zu bereiten suchen, um den andern nicht in den Besitz der begehrten Schleife gelangen zu lassen, wodurch die Verteidigung derselben gegen die Ueberzahl der Angreifer in etwas erleichtert wiro. Kommt nun noch die exzellente Leistung einer Reiterin, wie diejenige des Fräuleins Faltern hinzu, so muß der Streit um den Sieg ein ziemlich heißer werden.

Edgar Lossen verhielt sich bei diesen Plänkeleien von den drei Herren am passivsten. Und nicht nur während des Reitens, sondern auch im sonstigen Verkehr mit dem Fräulein. Er beschränkte sich auf eine Verbeugung beim Kommen und beim Gehen und das Fräulein hatte immer genau dasselbe Nicken als Dark für ihn. In den beiderseitigen Herzen freilich war diese äußere Kühle nicht aufrecht zu erhalten. Sie zollte ihm in ihrem Innern Anerkennung dafür, daß er ihrem Rate so energisch Folge geleistet, um etwas zu lernen und das in so kurzer Zeit in die That umgesetzt hatte; sie dachte, daß er sicherlich nicht dabei stehen bleiben, sondern sich ferner noch so weit aufschwingen werde, um diesen kavaliermäßigen Beschäftigungen auch die nützlichen folgen zu lassen und war förmlich stolz darauf, ihn aus seinem Phlegma gerissen zu haben... und man weiß je, daß bei den Frauen vom Interesse nicht mehr welt bis zur Liebe ist. Er fand sie täglich begehrenswerter, aber er wußte, daß eine Werbung noch nicht zum Ziel führen konnte, er wollte den einmal gefaßten Plau erst ganz durchführen — dann erst, dann wollte er vor sie hintreten und sie bitten, seine kleine Frau zu werden, wenn er dort draußen auf seiner Hufe saß und die Ernte herein hatte.— — Der Abend der Aufführung war da. In dem zum Zirkus umgewandelten Reithause hatte das elegante Publikum der Stadt Platz genommen und folgte, Beifall spendend, den gelungenen Vorführungen. Der erste Teil des Programms war zu Ende. Als eine Nummer des zweiten war das Jeu de rose angesetzt. Nach kurzer Pause inionierte die Musikkapelle den Fledermaus-Walzer und, als die Introduktion in die Melodie überging, erschien, flott die niedere Manegen-Barriere übersetzend, in dem kleidsamen Kostüm einer Rokoko-Jagddame, Fräulein Faltern. Sie war wunderhübsch. Das feine Gesicht paßte vortrefflich zu den gepuderten Haaren, ihre Augea blitzten vor List, keck saß eine kleine mouche über dem rechten Mundwinkel, der Lehmfuchs schnaubte und das Publikum acclamierte lebhaft die reizende Erscheinung. In kurzen Zwischenpausen folgten die drei Herren. In dasselbe Kostüm gekleidet, wirkten ihre schönen Gestalten auf den prächtigen Pferden auf das vorzüglichste. Die Herren grüßten die Dame durch abnehmen der Hüte und das Spiel begann.

Wie ein Aal durchschlüpfte das Fräulein den sie bedrängenden Herrn. In voller Pace fliehend, dann wieder auf der Stelle parierend und ihre Gegner an sich vorüberschießen lassend, bald sich zur Seite, bald tief auf den Hals des Pferdes sich vorbiegend, um die bedrohte Schleife zu retten, entging das Fräulein glücklich allen Angriffen. Doch nun schien es Ernst zu werden. Herr von Minsly und Herr von Brodden hatten ihr die linke Seite abgewonnen und jagten neben ihr her. Herr von Minsky, der voraus war, langte, sich hoch im Sattel erhebend, schon an der Brust des Herrn von Brodden vorbei, um sich die kostbare Schleife zu sichern, der letztere aber, um dies zu verhindern, drängte sein Pferd nach links. Das mochte etwas zu plötzlich geschehen sein, denn sein Rappe sprang dem Schimmel in die Vorderfüße und im nächsten Momente waren beide Pferde zu Falle gekommen. Laute Schreie ertöaten aus dem Zuschauerroum, dem bald noch lautere folgten, als Edgar Lossen, der ein paar Pferdelängen rückwärts gefolgt war, die beiden Pferde und Reiter mit einem mächtigen Satze übersprang und im nächsten Augenblicke die Achselschleife der schönen Reiterin hoch in seiner rechten Hand schwang.

Herr von Minsky und Herr von Brodden hatten glücklicherweise nicht den geringsten Schaden genommen, sie stiegen lachend auf ihre unversehrten Pferde, das Publikum beruhigte sich wieder, die Musik fiel mit einem Tusch eig und man applaudierte dem Sieger, dessen schneidige That und Geistesgegenwart man nun voll und ganz würdigen durfte.

Lossen hatte vermittelst seines Rechtsanwaltes den Schwaighof dem alten Herrn Falten noch während des Winters richtig vor der Nase wegsteigern lassen. Kurz darauf waren alle möglichen Handwerksleute auf dem Gute angekomnen und hatten das arg vernachlässigte Herrenhaus und die Oekonomiegebäude wieder in stand gesetzt, und als der Frühling kam, hielten der Besitzer selbst, ein tüchtiger Verwalter, sowie die nötige Anzahl Gesinde Einzug auf dem Gute. Es war ihm heiliger Ernst mit der Bewirtschaftung desselben. Der erste auf und der letzte zu Bette, war er eifrig bestrebt, sich alle praktischen Handgriffe anzueignen, um von der Picke auf bei sich selbst zu dienen. Man sah ihn hinter dem Pfluge herschreiten und mit der Säemaschine arbeiten gleich einem Knechte. Sein Eifer wurde auch reichlich belohnt; wenn er für dieses Jahr auch auf keinen eigentlichen Gewinn rechnen konnte, so schien doch die heiße Sommersonne auf wohlbestellte Felder herab und reifte ihm eine Ernte, die versprach, wenigstens kleine Zinsen zu tragen.

Er war gleich zu Aufang seines Einzuges nach dem Waldhof hinübergefahren, um seinen neuen Nachbarn einen Besuch zu machen. Man hatte ihn angenommen und wenn auch der alte Herr einige bissige Ausfälle machte, so hatte das jähe Erröten der Tochter bei seinem Erblicken ihn dafür reichlich entschädigt. Sie hielt nicht damit zurück, ihm ihre Achtung über sein zielbewußtes Streben zu zeigen und er fuhr mit dem seligen Bewußtsein vom Waldhofe wieder heim, daß ihm die Tochter wenigstens nicht zürne. Ob ihn das Fräulein jemals lieben könnte, das war freilich die Frage, die ihn Tag und Nacht quälte; er ersehnte die Gelegenheit einer Aussprache mit ihr, aber es kam ihm kein glücklicher Zufall zu Hülfe. —

Es war Mitte Juni und ein prachtvoller Sommermorgen. Er hatte sich in aller Frühe auf das Pferd geschwungen und seine Gutsmarke abgeritten. Seine Leute hatten gestern eine große Wiese, welche direkt an der Waldhofer Grenze lag, abgemäht, die heiße Sonne hatte rasch ausgedörrt und heute hatten sie das Heu auf hohe Haufen geschichtet, welche nun ihren betäubenden Duft aushauchten. Lossen übersah mit Behagen den reichen Segen, plauderte einige Worte mit dem Inspektor und entließ ihn dann. Die Arbeiter waren schon abgezogen, um an einem andern Orte ihre Thätigkeit fortzusetzen, auch der Inspektor war ihnen gefolgt, er war allein.

Durch ein kleines Gebüsch hindurch beobachtete er die Waldhofer Grenze. Das Glück sollte ihm heute günstig sein. Bessy, welche er ritt, hatte sich, die Gelegenheit, daß ihr Herr die Zügel über den Hals geworfen hatte, benützend, auf einen der Haufea herabgebeugt und naschte von dem frischen, süßen Heu. Plötzlich hielt sie damit inne und wandte den Kopf seitwärts; sie mußte mit ihren feinen Sinneswerkzeugen die Annäherung von etwas Außergewöhnlichem wahrgenommen haben. Lossen sah ebenfalls in die Richtung und was dabei sein Auge entdeckte, trieb ihm die Röte innerer Erregung auf die braunen Wangen.

An den kleinen Bach, der hier die Grenze zwischen den beiden Gütern bildete, stieß drüben ein Weizenfeld. In dessen Mitte erblickte er, zu Pferde, Fräulein Ilse bei einer eigentümlichen Beschäftigung. Sie war offenbar, um das Feld möglichst zu schonen, in eine Furche hineingeritten und stand nun direkt vor einer — Vogelscheuche, die man dort errichtet hatte, um die Vögel von den fast reifen Halmen abzuhalten. Ihr Pferd war, trotzdem sie es fortwährend zu beruhigen suchte, sehr unruhig und fing an ängstlich durch die Nüstern zu blasen. Jedenfalls war es noch ziemlich roh, aber bei der großen Gewandtheit des Fräuleins würde nichts zu befürchten gewesen sein, wenn nicht ein Umstand eingetreten wäre, der das junge undressierte Tier so erschrecken mußte, daß es allen und jeden Gehorsam verweigerte. Fräulein Ilse war nämlich damit beschäftigt, der Vogelscheuche den Hut abzunehmen, was ihr trotz vieler Bemühungen nicht gleich gelingen wollte. Sie griff zum letzten Mittel, nahm ihre schwankende Reitpeische am schwachen Teile in die Hand, fuhr mit dem Kropfe in den Hut, hob ihn ab und im nächsten Moment war er in ihrer Hand. Das Pferd aber erschrak vor dem schwarzen zusammengehüllten Dinge, machte einen Seitensprung, warf die Vogelscheuche um, diese streifte ihm die Kruppe und nun gab's kein Halten mehr, es durchraste das Feld und kam in gerader Linie auf Edgar Lossen zu. Das Unglück hatte sich rasch zugetragen, er hatte es nicht verhindern können. Zum Tode erschrocken, wollte er sein eigenes Pferd dem des Fräuleins in den Weg werfen. Der Durchgänger aber übersetzte schon den schmalen Grenzbach, übersah in seiner blinden Furcht einen dort stehenden Heuhaufen, brach in die Kniee und schleuderte das Fräulein in den nächsten.

Edgar war wie im Fluge vom Pferde und bettete das Fraulein so sanft wie möglich. Was er empfand, als er die süße Last an seinem Herzen fühlte! Der Schrecken hatte sie ohnmächtig gemacht; sie war recht bleich und lag mit geschlossenen Augen da. Edgar benetzte ihre Schläfe mit dem frischen Wasser des Baches und wollte ihr den Hut, den ihre Linke noch immer krampfhaft fest hielt, wegnehmen, aber es gelang ihm nicht, sie hielt ihn umklammert wie ein teures Gut. Endlich schlug sie die Augen auf und ein tiefes Rot färbte ihre Wangen als sie Lossen erkannte. „Das dumme Ding ist mit mir durchgegangen,” sagte sie, indem sie sich in sitzende Stellung erhob, dann, als sie sich die Heuhalme vom Kleide zupfte, lachte sie gerade hinaus. „Sie lachen, gnädiges Fräulein?” „Ach natürlich... Sie haben ja jetzt Ihre Revanche... so ziehen Sie doch los über meine Ungeschicklichkeit, ich habe mich dazumal auch nicht geniert... wissen Sie noch?”

„Ob ich es noch weiß! Jedes Ihrer Worte könnte ich wiederholen.... Mensch, Pflastertreter.... nicht?” Das Fräulein wurde glühend rot und wollte sprechen, Edgar aber fuhr fort:„Und wie danke ich diesen Worten! Ich wäre verbummelt, nun habe ich mich aufgerafft und hoffentlich versagen Sie mir ein klein wenig Amerkennung nicht.... es geschah ja alles um Ihnen zu gefallen!” Diese letzten Worte hatte er sehr leise gesprochen, nun aber kam es auf einmal wie ein Taumel über ihn: das war der Augenblick des Glücks, den durfte er nicht ungenützt vorübergehen lassen, nun sollte sie sein Urteil sprechen! Er nahm ihre rechte Hand, um sie leidenschaftlich zum Munde zu führen, hielt aber auf halbem Wege inne; da war noch immer der Hut der Vogelscheuche.

Fräulein Ilse senkte die Augenlieder, grub ihre Zähne in die Unterlippe und wollte sich erheben. Edgar deutete ihre Geberde als Abweisung, aber er mußte nun Gewißheit haben. „Fräulein Ilse, ich muß sprechen. Seit dem ersten Augenblicke, in dem ich Sie sah, ist Ihr Bild mit unauslöschlichen Zügen in mein Herz gegraben... ich liebe Sie unaussprechlich... ich gäbe mein Herzblut für Sie hin... sagen Sie mir, können nicht auch Sie mir ein klein, klein bißchen gut sein?”

Statt aller Antwort hielt sie ihm den Hut der Vogelscheuche entgegen. Edgar wurde bleich, sollte sie ihren Spott mit ihm treiben?

Sie bemerkte sein Erblassen und ihr Gesicht nahm einen außerordentlich weichen Ausdruck an, indem ihr die Scham die Röte auf die Wangen trieb. „So sehen Sie sich ihn doch an,” sagte sie endlich. Edgar nahm das Fragment einer Kopfbedeckung und besah dasselbe verständnislos. Plötzlich aber durchzuckte es ihn, als ob er einen Freudensprung machen müsse, er hatte im Innern desselben den Rest einer Visitenkarte entdeckt, — das war ja sein Hut, der Hut, den er damals bei dem„denkwürdigen Ritte” trug. Und den hatte das herrliche Mädchen mit Lebensgefahr heruntergeholt... er sah sie fragend an. „Nun,” sagte sie stockend,„ich konnte es nicht sehen, daß man dem armen Hute eine so abschenliche Bestimmung gegeben hatte, denn es knüpft sich an ihn für mich die Erinnerung an einem Mann, dem ich meine volle Achtung geschenkt habe!”

Edgar preßte das schöne Mädchen mit einem lauten Jubelrufe in seine Arme — er war der glücklichste Mensch der ehemalige Pflastertreter unter Gottes weiter Sonne!

— — —